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Eiskalte Rache

Die Geschichte habe ich tatsächlich geträumt :(

 

Ihm war kalt.

Bevor er heute die Wohnung verlassen hatte, hatte er sich gut auf den Kälteeinbruch in dieser Februarwoche eingerichtet.

Zusätzlich zur üblichen Feinripp-Unterwäsche hatte er sich mit 2 Paar Wollsocken, langen Unterhosen aus dem Military-Second-Hand-Laden um die Ecke, einem T-Shirt und darüber einem Flanellhemd – sonst gar nicht sein Stil –und einer Lederweste mit Lammfellfutter bekleidet.

Eine dicke Winter-Jeans und der unvermeidliche Parker – das Winterfutter war eingeknöpft – bildeten die äußere Schicht. Eine Fellmütze sollte seinen Kopf mit nachwachsenden, aber immer noch sehr kurzen Haaren schützen.

Wegen der 2 Paar Wollsocken hatte er die Springerstiefel  seines Bruders als Schuhwerk gewählt – ebenfalls gebraucht aus Armeebeständen. Seine eigenen hatte er entsorgt.

Es war stockdunkel. Kein Licht, kein Schimmer erreichte sein Sehzentrum.

Ein permanenter Schmerz – oder eher ein ungleichmäßig verteilter Druck – schien seinen gesamten Körper auszufüllen. Sein Kopf pochte. Er hatte das schwache Gefühl, als würde irgendetwas an seinen Armen zerren.

Ihm war kalt.

Der fließende Verkehr war seltsam dröhnend zu hören – aber merkwürdig ungewohnt - verzerrt.

Er bemerkte das Gurgeln und Plätschern von schnell fließendem Wasser.

Er spürte seinen Körper nur vage. Seine Beine hörten nicht auf ihn. Die Füße ließen sich nicht bewegen.

Bewegungslosigkeit – und diese Kälte.

Stand er im Wasser? Dünne Eisschollen streiften seine gut trainierten Bauch- und Rückenmuskeln. Aber wirklich fühlen konnte er das nicht. Wo war sein Parker, sein Hemd? Halbnackt in eiskaltem Wasser. Verrückt.

Erinnerungsfetzen blitzten durch sein unterkühltes Gehirn.

Schatten, groß und schwer, menschliche Formen. Sie packten ihn, hielten ihn fest. Schwärze.

Wieder Dunkelheit und Kälte. Er spürte seine Hände nicht. Die Arme waren auf den Rücken gedreht. Wo war er? Was war passiert?

Er sieht Gesichter aufleuchten. Seine alten Kameraden aus dem Kader. Hakenkreuze. Marschgesänge.

Verwunderung. Er gehörte doch gar nicht mehr dazu. Hatte gerade einen Ausbildungsplatz bekommen. Auf dem Baubetriebshof der Stadt. Eigentlich wollte er dorthin, als er das Haus verlassen hatte. Es war nicht weit – konnte bequem zu Fuß erreicht werden. Wann hatte er das Haus verlassen?

Blackout!

Er war müde. Konnte kaum einen Gedanken fassen. Alles verschwommen.

Und diese verdammte Kälte.

Die Schatten. Sie haben ihn angehoben und seine Füße und Beine in irgendwas versenkt.

Rasen mähen. Das hatte er als erstes in seiner Ausbildung tun müssen. Und Hecken schneiden.

Nicht mit einer elektrischen Heckenschere. Das hat Karl, der Geselle, übernommen. Er durfte mit der Hand am Arm… einer der Kerle hatte auch so ein Ding. Kam auf ihn zu, während die anderen ihn hielten – seine Arme hielten… kreischender Schmerz in seinem Handgelenk – dann Dunkelheit.

Das Plätschern des Wassers und das Dröhnen des Verkehrs lullten ihn ein.

Klarheit. Sie hatten italienisch gesprochen. Nichts verstanden. Scheiß Itaker!

Vor langer Zeit, vor ‘nem Jahr oder so, als er noch mit seiner Kameradschaft unterwegs gewesen war, hatte er es einem dieser scheiß Itaker gezeigt. Hatte ihm mit dem Baseballschläger auf die Fresse gehauen. Immer wieder. Bis das Hirn dieses scheiß Itakers auf den Wandfliesen des U-Bahnhofs verteilt war. Schweinerei.

Sie hatten gesoffen. Hatten den Sieg gefeiert. Hatte keine Schnitte, das arme Schwein.

Dann hatte er sich übergeben. Hatte Albträume. Monatelang. War nicht mehr zu den Treffen gegangen. Wollte nichts mehr damit zu tun haben. Irgendwann ließen sie ihn in Ruhe. Mit ihm war nichts mehr anzufangen. Weichei. Wichser. Penner.

Gerade so die letzte Chance für den Hauptschulabschluss genutzt. Dann die Ausbildung. Vitamin B. Sein Alter hatte die Finger mit drin. Aber was soll’s. Hauptsache raus aus dem Sumpf.

Kälte schüttelte seinen Körper. Müdigkeit vernebelte seinen Geist. Das bisschen, was übrig war.

Vielleicht lag es auch daran, dass er zu viel Blut verloren hatte.

Sie hatten ihn die Brücke hinunter geworfen. Aber zielen konnten sie nicht, diese scheiß Itaker. Hatten die Fahrrinne verfehlt. Jetzt stand er hier. Halb dem gefrierenden Wasser, halb dem eisigen Wind ausgeliefert.

Die Bilder vor seinem inneren Auge verschwammen.

Die Kälte ließ nach. Die Geräusche verblassten. Endlich.

Nachdem die Polizeitaucher in ihren Neoprenanzügen den halbnackten und gefesselten Mann aus dem Wasser gezogen und ans Ufer verfrachtet hatten, nahm ihn der Gerichtsmediziner in Augenschein.

Ihn schauderte – nicht nur wegen des eisigen Windes.

Dem jungen Mann waren die Beine bis knapp über die Knie einbetoniert worden. Seine Arme, auf dem Rücken zusammengezerrt, endeten in Stümpfen. Die Hände waren brutal abgetrennt worden. Ebenso seine Ohren. Seine Augen waren ausgestochen.

Dazu kamen wahrscheinlich massive Stauchungen und Brüche der Wirbel und anderer Teile des Skelettes durch den Sturz von der Brücke.

Wenn er nicht sofort tot gewesen war, musste er Furchtbares durchgemacht haben.

Der Arzt gab den wartenden Männern ein Zeichen, dass der Abtransport erfolgen könnte. Im Labor würde er die Untersuchung fortsetzen.

Aber Spuren, die zu den Tätern führen könnten, würden wahrscheinlich  nicht mehr zu finden sein.

 

A.W. 02/2012

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